Menschen, die in ihrer Kindheit eine ausreichend gute Erziehung genossen haben, erfüllen als Erwachsene über ein Repertoire an gesunden und flexiblen Reaktionen auf Gefahr. Droht eine reale Gefahr, haben sie einen angemessenen Zugriff auf ihre Überlebensstrategien.
01 Angewandtes Überleben und erste Versuche der Selbstregulation
Archaische menschliche Überlebensmechanismen – mit Seitenblick auf das Tierreich – sind Kämpfen, Flüchten, Erstarren und Unterwerfen.
Kämpfen: Ein leichter Zugang auf die „Kampf“Reaktion gewährleistet im Alltag eines jeden Menschen eine gute Abgrenzung, eine gesunde Durchsetzungsfähigkeit und wo nötig einen aggressiven Selbstschutz.
Flüchten: Selbst nicht traumatisierte Menschen können zum Beispiel auch leicht und angemessen auf ihren Flucht-Instinkt zugreifen und sich ab-/aus-/koppeln und zurückziehen, wenn eine Konfrontation die Gefahr verschärfen würde.
Erstarren: Auch nicht traumatisierte Menschen können angemessen erstarren, indem sie aufgeben, wenn jede weitere Aktivität oder jeder Widerstand sinnlos erscheint.
Als erste Reaktion auf eine Gefahr, ist der Erstarrungsreflex auch eine Möglichkeit um Zeit zu gewinnen und um eine Gefahr besser einschätzen zu können. Der Moment der Erstarrung kann uns die richtige Entscheidung geben, ob Kampf, Flucht, Unterwerfung oder weiterhin Erstarrung die aussichtsreichste Option verspricht.
Unterwerfung: Auch nicht traumatisierte Menschen können sich unterwerfen ohne kriecherisch zu wirken. Sie hören zu, warten ab, wägen ab, bis sie ihre Bedürfnisse, Rechte und Standpunkte platzieren können.
Worin erkennst du dich wieder?
02 Positive Eigenschaften von Überlebensstrategien
Die Stärken des Kampf-Musters sind Durchsetzung, Abgrenzung, Mut, Tatkraft, Führungsfähigkeit.
Die Stärken des Flucht-Musters sind Distanzierung gesunder Rückzug, Know-How, Beharrlichkeit.
Die Stärken des Erstarrungs-Musters sind verschärfte Wahrnehmung, Achtsamkeit, Ruhe, Präsenz.
Die Stärken des Unterwerfungs-Musters sind Liebe und Hilfsbereitschaft, Kompromissfähigkeit, die Fähigkeit zuzuhören, Friedensstifter.
Worin erkennst du dich wieder?
03 Übermäßige Inanspruchnahme der Überlebensmuster
Wer sich in seiner Kindheit oft bedroht fühlte, lernte durch die übermäßige Inanspruchnahme einer oder zwei dieser Reaktionen zu „überleben“, sich selbst zu „sichern“.
Die Fixierung auf eine Überlebensstrategie schränkt jedoch nicht nur unseren Zugriff auf die anderen ein, sondern beeinträchtigt auch unsere Fähigkeit jegliche Abwehr aufzugeben und zu entspannen. Zudem verengen sich unsere Wahlmöglichkeiten und unsere Erlebensvielfalt verkümmert mehr und mehr.
04 Den Schmerz der Entfremdung nicht mehr spüren/wollen
Mit fortschreitender Zeit dient uns eine gewohnheitsmäßige Überlebensstrategie auch als Ablenkung von schmerzhaften Gefühlen. Wir stumpfen ab und bekommen immer weniger Zugang zu unserer einstigen klaren und unverfälschten Natur. Alter Wundschmerz wird gekonnt überspielt, verdrängt und das Maß der Entfremdung ist kaum noch wahrzunehmen.
05 Emotionaler Flashback
Wenn du dich im Alltag bedroht fühlst….
neigst du eher zu explosivem Verhalten oder zur Anspruchshaltung bis hin zur Kontrollsucht (Kampf)?
neigst du eher zu panischem, besorgten Verhalten und zur Getriebenheit und Selbstperfektion (Flucht)?
neigst du eher zu Abspaltung, Isolation, geistiger Abwesenheit und zu täuschen und tarnen (Erstarrung)?
neigst du eher zu Co-Abhängigkeit und Selbstverlust und zum „schleimen“/sich anbiedern?
06 Die unbewusste Versuch des Kindes Schlimmes abzuwenden
Die übermäßige Fixierung auf eine der Überlebensstrategien ist der unbewusste Versuch des einst bedrohten oder vernachlässigten Kindes in dir, eine dauerhaft bestehende Gefahr zu bewältigen. Jede Strategie hat auch das Ziel, die Illusion aufrecht zu erhalten, dass Eltern nicht so schlimm sind, wie du sie als Kind „eigentlich“ empfunden hast.
07 Zwiespältiges Verhältnis zur Intimität
Im erwachsenen Leben haben alle Typen/Strategien ein zwiespältiges Verhältnis zu echter Intimität. Es liegt daran, dass zwischenmenschliche Nähe in uns häufig schmerzhafte emotionale Flashbacks triggert. Sie erinnert uns daran, wie wir als Kinder ohne tröstliche Bindung überleben mussten.
Unsere Überlebensstrategien bieten uns nun Schutz gegen ein nochmaliges Gefühl des Verlassenseins, indem sie jegliche Art verletzbarer Interaktion verhindern, die zu einer engeren Bindung führen könnte.
08 Beziehungen vermeiden
Du meidest Beziehungen, in denen du dich verletzbar machst, weil deine Vergangenheit dir die Überzeugung eingepflanzt hat, dass du wieder genauso bedroht oder verlassen wirst wie als Kind!?
09 Kampf in Beziehungen
Viele „Kampftypen“ vermeiden echte Intimität, indem sie andere mit ihren wütenden und kontrollsüchtigen Forderungen nach bedingungsloser Liebe von sich entfremden. Diese unrealistische Forderung nach Befriedigung ihrer Kindheitsbedürfnisse zerstört jegliche Intimität im Keim.
Zudem machen sich einige Kampftypen vor, perfekt zu sein. Sie sehen den anderen als denjenigen an, der erzogen werden muss. Sie selbst sehen sich in der Position des Stärkeren.
Schaffst du dir mit dieser Überzeugung die Berechtigung, die Schuld für alle Beziehungsprobleme auf deinen Partner/deine Partnerin abzuwälzen?
10 Flucht in Beziehungen
Viele „Fluchttypen“ sind durchgehend fleißig und mit irgendetwas beschäftigt, um jeder tiefergehenden Interaktion aus dem Weg zu gehen. Andere arbeiten wie besessen daran, sich selbst zu erziehen, in der Hoffnung, eines Tages ausreichend liebenswert zu sein.
Wer darf hinter deine perfekte Maske blicken?
11 Erstarrung in Beziehungen
Viele „Erstarrungstypen“ verstecken sich in ihren vier Wänden und in ihren Träumereien, weil sie unerschütterlich davon überzeugt sind, dass die Welt der Beziehungen nichts für sie bereithalte.
Tendierst du zu Internet-Beziehungen, die sich mit wenig direktem Kontakt gefahrlos von zu Hause aus pflegen lassen?
12 Unterwerfung in Beziehungen
Viele „Unterwerfungstypen“ vermeiden emotionales Engagement und potenzielle Enttäuschungen, indem sie ihr Selbst kaum zeigen. Sie verstecken sich hinter ihren Masken und sind ständig bemüht aus anderen etwas „rauszuhören“, anderen etwas zu entlocken oder etwas für sie zu tun.
Inwiefern dient dir die genaueste Beobachtung/ „Registrierung“ des Partners/Partnerin dabei, keine Selbstentblößung zu riskieren und damit auch keine Zurückweisung auf einer tieferen Ebene?
13 Erweiterung deiner Wahlmöglichkeiten
Übermäßige Abhängigkeit von Abwehrmechanismen kann – am Besten mit professioneller Unterstützung – betrachtet und bezüglich ihrer Entstehung aufgearbeitet werden: Im Idealfall gesprächstherapeutisch und körpertherapeutisch.
Bei sich aufdrängenden Symptomen von posttraumatischen und komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS und KPTBS) solltest du unbedingt therapeutische Begleitung aufsuchen.
14 Den Körper bei der Selbstheilung mit einbeziehen
Den Körper mittel- und langfristig dabei mit einzubeziehen, ist mehr als hilfreich, denn alle jemals gemachten Erfahrungen sind im Körperinneren verzeichnet: Der Körper lügt nicht! Und der Geist im Körper möchte sich möglicherweise nun im Fokus der Selbstheilung wieder Körper-Erinnern:
Wie schön wäre/ist es, die durch Bedrohungs- oder Verlassenheiterfahrung verursachte eingeengte Körperhaltung im heute sicheren Raum wieder zu öffnen oder frühere unverhältnismäßige Öffnung wieder zu schließen und sich die verloren gegangene Energiepotenziale wieder zurück zu holen.
Dazu gehört unter anderem: Wieder eine gängige durchfließende Atmung zu erzeugen, eine Befreiung von altem Schock in Körperzonen wie zum Beispiel im Bauchfell/im Zwerchfell zu erlangen und Angst-Speicher in den Knochenhäuten zu lösen etc.
15 Gesunde Selbstbeziehung
Wie viel Zeit, wie viel Energie benötigt jeder der oben genannten Energiemuster in deinem Alltag?
Wie wirken sich die unterschiedlich stark konditionierten Reaktionsweisen und auch Mischformen aus dir heraus auf dich selbst und deine Beziehungen aus?
Kannst du ein Grundmuster über die vergangenen Jahre bei dir entdecken?
Welche Reaktionen oder Strategien entdeckst du an/ bei deinen Partnern?
Inwieweit verursachen diese Reaktionen bestimmte Stressmomente, Ohnmachtsmomente oder „Patt-Situationen“ bei dir oder beim anderen?
16 Stärken und Schwächen um daran zu wachsen
Möglicherweise haben sich Schwächen von einzelnen Reaktionsmustern bereits in Stärken verwandelt:
Zum Beispiel kannstet du einst „einschüchternde“ Verhaltensweisen
und erlebst diese heute eher als gesunde Positionierung?
Oder Getriebenheit wandelte sich bereits in Effizienz?
Erschlaffung in eine ruhige kraftvolle Präsenz?
Unterwürfigkeit in raumgebende Energie und Hilfsbereitschaft?
17 Therapeutischer Kontext
Wenn die Zeit reif ist und du bereit bist, um tiefer zu gehen, mehr verstehen zu wollen, was sich in deinem Leben bisher gestaltet hat, dann ist es hier und heute möglich, auch länger währende Grundmuster zu verändern. „Es ist nie zu spät, eine ‚glückliche‘ Kindheit gehabt zu haben“.
Schaue hinter…
- fixierte Kampfreaktionen und narzisstische Abwehr,
- fixierte Fluchtreaktionen und die zwanghafte Abwehr
- fixierte Erstarrungsreaktionen und die dissoziative Abwehr
- fixierte Unterwerfungsreaktionen und die co-abhängige Abwehr.
18 Lerne Selbstregulierung über …
- besseres Management emotionaler Flashbacks
- die Kenntnis der häufigsten Attacken des inneren Kritikers
- den Umgang mit Schuld und Scham
- die Beziehung zwischen Gefühlen und Körper
- dein Fühlen in Verbindung mit deinem emotionalen Ausdruck
- die Bewältigung der Verlassenheitsdepression
- Möglichkeiten der Trauerarbeit
- Selbstvergebung
- Interaktion in deinen Beziehungen heute
- Authentische Verletzlichkeit und Dialogfähigkeit
Zur Klärung deiner Beziehungssituation und familiären Situation empfehle ich dir eine Einzelsitzung oder Biografie-Arbeit in Präsenz oder Online.
Zur Vertiefung der Thematik empfehle ich dir auch die Teilnahme an meinen Seminaren.
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