Trauer im Kindesalter

Der Verlust eines geliebten Menschen ist in jedem Alter meist schwer zu tragen. Sind Kinder von Trauer und Verlust betroffen, unterscheidet sich ihr Umgang damit von dem der Erwachsenen. Auch gibt es Unterschiede dahingehend, in welchem Verhältnis ein Kind/Jugendliche/r zur verstorbenen Person stand.

01  Trauer des Kindes bei Verlust eines Elternteils

Der Verlust eines Elternteils durch Tod oder möglicherweise auch auch Trennung der Eltern, hinterlässt eine Leerstelle im Leben des jungen Ichs. Leere, Ohnmacht, Wut, Schmerz oder einfach ein „schlechtes“ Körperempfinden kann der tägliche und nächtliche Begleiter sein.

Der radikale Wegfall einer nahen Bezugsperson bedeutet für einen im Leben noch ungefestigten Menschen eine Bedrohung von existenziellem Ausmaß.

02  Der Verlust der Mutter

Der Verlust der Mutter als meist nächste Bindungsperson ist für ein Kind besonders traumatisierend. Schwangerschaft, Stillzeit und viele körpernahe Beziehungserfahrungen schufen im günstigsten Fall einen sicheren Hafen für ein Baby und ein Kleinkind.

Ein Schulkind und ein vorpubertäres Kind benötigt ebenso täglich „Kapitäns-Führung“ und Verständnis für das kindliche Empfinden und für die altersgerechten Möglichkeiten eines Kindes. Auch wenn die „Nabelschnur länger wird“, ist der Heimathafen zunächst durch nichts zu ersetzen.

03  Der Heimathafen ist nicht mehr da 

Im wünschenswerten Fall wirkt die Energie- und Präsenz-Investition der nahen Bindungsperson in besonderer einmaliger Weise struktur- und haltgebend, wärmend und tröstend durch die Wogen des Lebens auf hoher See. 

Vor allem im jungen Alter ist der Verlust der Mutter daher besonders durch das „Fehlen“ und das körperliche Spüren der Abwesenheit der Mutter/des Vaters geprägt. 

04  Schwere Erkrankung und Tod eines Elternteils

Zusätzlich belastende Auswirkungen kann der Tod eines Elternteils durch eine vorangegangene schwere oder lange Krankheit haben.

Das Kind oder die/der Jungendliche hat während des Krankheitsverlaufs emphatisch die Familiensituation mitgetragen, sich Sorgen gemacht, mit der Mutter/dem Vater mitgelitten und eine emotionale Verantwortung übernommen. Diese latent schwingende Verlustangst bewahrheitet sich im schlimmen Ausmaß durch den Tod des Elternteils.

05  „Überraschend“ –  tot!

Der überraschende, letztendlich endgültige Tod, bewirkt für die hinterlassenen Kinder meist Verstörung und Schwierigkeiten, den Verlust zu begreifen.

Eine besondere Situation für ein Kind tritt ein, wenn die Mutter bei seiner Geburt stirbt. Die Auswirkungen und die Verarbeitung eines solchen Schicksals können erst im fortschreitenden Leben realisiert werden.

06  Verlust eines Geschwisterteils

Die Geschwisterbeziehung ist eine der frühesten, massiv prägenden Beziehungen eines Kindes, die auf lange Zeit in die Zukunft bis ins hohe Alter angelegt ist. Der Tod oder Weggang eines Geschwisters geschieht und diese einmalige Beziehung wird für immer fehlen. Auch hier bleibt nur die Erinnerung der gemeinsam gelebten Zeit.

07  Keine oder wenig gemeinsam gelebte Zeit 

Manchmal bleibt nur wenig gemeinsame Zeit, zum Beispiel, wenn ein Geschwister im Mutterleib verstirbt oder zur Welt kommt und nur wenige Tage lebt. Zu einem späteren Zeitpunkt des lebenden Geschwisters entsteht oft der Wunsch, mehr wissen zu wollen über die Umstände des frühen Weggehens des Geschwisters.

Auch Fragen wie…
„Wer war diese Seele“?
„Wie wäre es, wenn wir zusammen groß geworden wären?“
drängen sich auf, um verstehen zu wollen/können, was Teil der Schicksals-Gegebenheit war.

08  Verlust eines schützenden Begleiters

Der Verlust eines Geschwisters kann auch den Verlust eines Begleiters und freundschaftlichen Gegenübers bedeuten. Der Tod eines älteren Geschwisters bringt oft den Verlust einer „Beschützer-Kraft“ mit sich, insbesondere dann, wenn der ältere Bruder, die ältere Schwester gänzlich oder anteilig den Vater oder die Mutter funktionell oder psychisch begleitend über längere Zeit ersetzt haben. 

09  Konfliktträchtige Beziehungen

Waren Beziehungen sehr konfliktträchtig, treten bei einem hinterbliebenen Kind/Geschwister oftmals Ambivalenzgefühle auf.

Schuldgefühle, insbesondere im Entstehen von „Überlebensschuld“ können sich stark zeigen oder latent vorhanden sein.

Auch das hoch tabuisierte Gefühl der Erleichterung über den Tod kann auftreten.

Neben dem Schmerz und der Trauer müssen auch diese Gefühlsbereiche angesprochen und verarbeitet werden. 

10  Verlust eines Großelternteils

Für die Enkel ist der Tod eines Großelternteils, je nach Bedeutung und Wichtigkeit der Bezugsperson, mehr oder weniger massiv. War etwa die Großmutter eine sehr geliebte Bezugsperson, die familiäre oder elterliche Defizite Ausgleich, dann ist deren Verlust für eine Enkelin oder einen Enkel oft sehr schwerwiegend. 

Beim frühen Tod eines Großelternteils oder harter Trennung – durch Verwerfung der Familie zum Beispiel –  fehlt dem Enkelkind eine lange Strecke großelterlicher Zuwendung.

11  Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

Manchmal trägt der Tod eines Ahnen dazu bei, sich als zugehörig Hinterbliebene/r auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu machen. Heimat/“Verlust“, und epi/genetische Verbindungen rücken zu einem Zeitpunkt im Leben in den Gedanken- und Empfindungskreis zur Unterstützung bei der Klärung der eigenen Bedeutung oder Sinnfrage.

12  Verlust von Freunden und Schulkameraden

Ab dem vierten Lebensjahr nehmen Freunde und Schulkameraden häufig die Rolle von „Zweit- oder Ersatz“ Geschwistern ein und haben somit eine emotional prägende Bedeutung für Kinder und Jugendliche.

Der Verlust kann deshalb  als sehr intensiv wahrgenommen werden, eine Bewältigung ist jedoch meist ohne professionelle Trauerbegleitung, mit der Unterstützung der Eltern/Großeltern möglich.

13  Verlust eines Tieres

Tiere werden vor allem von Kindern als personale Gegenüber verstanden und sind deshalb häufig als Verlust einer „Person“ anzusehen. Eine starke Trauer kann in prekären Familiensituationen oder Entwicklungsphasen auftreten.

In der Trauer um ein Tier kann jedoch auch die Fähigkeit des Trauerns und des Abschiednehmens erlernt werden. Eine emphatische Begleitung durch die Eltern und durch Rituale wie zum Beispiel das Tier zu beerdigen, helfen bei der Bewältigung.

14  Traumatisierung des Bindungssystems

Bei einem Verlust erleben Kinder und Jugendliche den Entzug einer zentralen Bindungsfigur und damit auch eine Traumatisierung des Bindungssystems. Traumatisierende Auswirkungen haben insbesondere folgende Situationen:

  • Das Miterleben des Todes eines nahen Menschen und die eigene Hilflosigkeit darüber
  • Das Auffinden des Verstorbenen und die gefühlte Bedrohung
  • Das Miterleben der Überbringen der Todesnachricht und die Unfähigkeit, die Situation richtig einzuordnen
  • Das Miterleben von Schwäche der verbleibenden Bezugspersonen zum Beispiel durch emotionale Ausbrüche 

15  Emotionale Überflutung

Es droht eine emotionale Überflutung, weshalb evolutionsbiologisch angelegte Schutzprozesse einsetzen.

Diese umfassen etwa Desorientierung und Verwirrung, Lähmung aller Gefühle oder eine gefühlte De-Realisierung und De-Personalisierung. Letzteres hat zur Folge, dass sich die Kinder und Jugendlichen fühlen, als befänden sie sich in einer Glasglocke oder einem Film, abgeschnitten von der Realität. Sie klinken sich in Gruppensituationen oder im Unterricht immer wieder aus und bekommen nicht mehr mit, was um sie herum geschieht.

16  Verletztes und verletzliches Bindungssystem

Das verletzliche Bindungssystem muss mit dem Fehlen der Bezugsperson umgehen und sich neu organisieren. Hierbei kann die Bindung zu den zurückbleibenden Angehörigen eine wichtige Rolle spielen. Besonders wichtig ist jedoch die innere Beziehung zum Verstorbenen, der als inneres Bindungsobjekt erhalten bleibt.

17  Trauer drückt sich je nach Entwicklungsstand anders aus

Die Ausprägung der Trauer hängt stark von den kognitiven Fähigkeiten des Kindes ab, welche es ihm überhaupt erst ermöglichen, den Tod zu verstehen. Hinzu kommen Steuerungs- und Regulationsfähigkeiten von intensiven Gefühlen des Kindes und dessen Bindungsfähigkeit.

18  Kleinkinder 

Bis zum zweiten Lebensjahr wird der Verlust einer Bezugsperson noch sehr diffus erlebt. Der Verlust der Mutter, als über das Stillen nächste Bezugsperson, kann sich so etwa durch ein weinendes Schreien äußern, häufig bis zur Erschöpfung und Resignation.

Aufgrund der Spiegelneuronen übernehmen Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr oft die Trauer ihres Umfeldes, ohne sie zu verstehen. Bezugspersonen sollten in dieser Zeit vor allem einen körperlich vermittelten Halt geben.

19  Kinder im Vorschulalter

Auch im Vorschulalter können Kinder, aufgrund eines begrenzten Zeitverständnisses, die Endgültigkeit des Todes und die bleibende Abwesenheit noch nicht begreifen.

Aufgrund ihres magischen Denkens glauben sie, dass der Tod revidierbar ist und die Verstorbenen durch wundersame Umstände wieder lebendig werden. Auch wenn die Kinder die verstorbene Person sehr vermissen, sind sie so zunächst vor der schmerzlichen Realität des Todes geschützt.

Diese Altersphase ist auch geprägt durch ein großes Interesse an natürlichen Vorgängen des Sterbens. Stellen Kinder ohne Scheu oder Angst Fragen zum Sterben und zum Tod, so sollten diese auch kindgerecht beantwortet und nicht abgetan werden.

20  Kinder im Grundschulalter

Kinder in diesem Altersabschnitt begreifen allmählich das Sterben und den Tod als einen konkreten Vorgang. Ihnen wird die Universalität des Todes zunehmend bewusst. Auch physikalisch-biologische Ursachen für den Tod, wie etwa Krankheiten, werden nun bewusster.

Die Sterblichkeit der eigenen Person und nahen Angehörigen wird aufgrund der damit einhergehenden Bedrohlichkeit jedoch weitgehend ausgeblendet. Auch ein intensives Mitgefühl für den Verstorbenen stellt sich häufig ein, was nicht selten dazu führt, dass sie sich schuldig fühlen, den Tod des Angehörigen nicht verhindert zu haben und selbst noch am Leben zu sein.

21  Neuntes Lebensjahr bis Pubertät

Die eigene Sterblichkeit und die Sterblichkeit naher Angehöriger werden nun bewusster, sodass die Angst vor einem Verlust der nahen Angehörigen und vor dem eigenen Sterben entsteht.

Es stellen sich nun die Trauergefühle ein, die auch den Erwachsenen bekannt sind. Aufgrund der Angst vor den Trauergefühlen, werden diese jedoch häufig abgewehrt und eine Trauer findet eher punktuell statt.

22  Pubertät bis zur Adoleszenz

Jugendliche stellen sich die Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod. Durch die Warum-Frage wollen sie den Tod eines nahen Menschen verstehen. Nicht selten wird der Tod auch als Ungerechtigkeit erlebt.

Dies entzündet häufig eine rebellische Wut und nihilistische Haltung, weshalb gängige Vorstellungen vom Weiterleben und eines transzendenten Ortes oft abgelehnt werden. Zugleich entwickeln sie eigene Trauer- und Beziehungsrituale.

23  Verarbeitung eines früheren Verlust-Erlebens

Bei einem frühen Verlust einer Bezugsperson treten mit der Reifung des Kindes erneute Trauerreaktionen auf. Dies wird oft übersehen, fehlinterpretiert oder als „Rückfall“ gedeutet. Das nun starke Erleben hängt jedoch damit zusammen, dass der Trauerprozess bis zum neunten Lebensjahr unvollständig verarbeitet wurde.

Bei fortgeschrittenem Alter auftretenden Trauerreaktionen kann eine erneute altersgemäße Trauerbegleitung deshalb sinnvoll sein.

24   Was tun? – Aufgaben nach dem Verlust

In der Trauerarbeit ergeben sich vier Zielhorizonte, in die trauernde Kinder und Jugendliche begleitet werden sollen.

  • Stabilisierung- und Alltagsbewältigung
  • Aufbau einer inneren Beziehung zumVerstorbenen
  • Realisierung des Verlustes
  • Weitergehende Entwicklung

25  Förderung der emotionalen Regulationsfähigkeit

Die Förderung der emotionalen Regulationsfähigkeit ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Kinder und Jugendliche können angeleitet werden, mit ihrer Trauer, aber auch Wut- und Zorngefühlen konstruktiv umzugehen.

Im Umgang mit Traumareaktionen und Alpträumen helfen gestalterische Methoden, um Traumata zu begrenzen und Kinder vor ihnen zu schützen.

26  Aufbau einer inneren Beziehung zur/zum Verstorbenen

Trauernde Kinder und Jugendliche sollen ermutigt werden, eine innere Beziehung zum verstorbenen Angehörigen aufzubauen. Durch die Begleitung beim Finden und Gestalten dieser inneren Bindung kann der Verlust verarbeitet werden.

Dafür müssen aber auch Beziehungsstörungen, wie die Wut über den verstorbenen Menschen oder Schuldgefühle geklärt werden.

27  Realisierung des Verlustes

Die Realität des Verlustes kann Kindern und Jugendlichen behutsam nahegebracht werden, indem man sich diesem, im Rahmen der kognitiven und emotionalen Grenzen, behutsam annähert. Hier ist es sinnvoll, den Schmerz und die Trauer zu externalisieren und zu gestalten, um den Gefühlen Ausdruck zu verleihen und sich schließlich von ihnen lösen zu können.

28 WeitergehendeEntwicklung

Trauernde Kinder und Jugendliche sollen schließlich auch dazu eingeladen werden, ihre durch den Verlust gebremste, oder stillstehende Entwicklung wieder aufzunehmen. Auch Erfahrungen wie Freude, Erfolg und Glück werden hierfür erlaubt und gefördert.

Kindern den Tod begreiflich zu machen und ihnen bei der Trauerbewältigung zu helfen, ist eine schwierige Aufgabe. Stehen Eltern vor dieser Herausforderung, fühlen sie sich oft rat- und hilflos. In dieser Situation können Trauergruppen oder eine professionelle Trauerbegleitung sinnvoll sein.

Eltern kann so auch beim Zurückfinden in die Elternfunktion und im Umgang mit der eigenen Trauer geholfen werden. Denn auch wenn Eltern ihre Trauer nicht verstecken sollten, haben Kinder grundsätzlich das Bedürfnis nach starken, verlässlichen Bezugspersonen, die in der Trauer nicht versinken.

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