Essstörungen – mit Hintergründen

Anorexis nervosa, Bulimia nervosa, Binge-Eating-Störung und andere Formen von Esstörungen kommen heute immer mehr in den Fokus. Langfristige Betrachtungen in verschiedenen Ländern zeigen eine klare Zunahme von Essstörungen.

Mehr als 20 von 100 Kindern im Alter von 11 bis 17 Jahren gelten als auffällig im Essverhalten. Sie sind unzufrieden mit ihrem Gewicht oder ihrer Figur, wobei Mädchen sich öfter mit dem „Schlanksein wollen“ beschäftigen und sich dick empfinden, obwohl sie normalgewichtig sind. Auch machen Mädchen heute schon früh mehrfache Diäterfahrungen.

Gestörtes Essverhalten kann in eine Essstörung übergehen, muss aber nicht.  

Wenn zu den ausgeprägten Veränderungen im Essverhalten und zur übermäßigen Beschäftigung mit den Themen Figur, Gewicht und Nahrung, eine übermäßige Leistungsorientierung oder sozialer Rückzug und psychosoziale Probleme hinzu kommen, dann sollten diese Hinweise für das Vorliegen einer Essstörung von einer Ärztin/Arzt oder einer/s PsychotherapeutIn überprüft werden. 

#01  Anorexia nervosa (AN) bis #05

Diese „Gesundung- Entgleisung“ spiegelt einen enorm überdisziplinierten Umgang mit Nahrungsaufnahme und forciertem „Loswerden von Kalorien“ – durch hohe Sport-Ausübung oder durch Einnahme von Abführmitteln. Subjektiv wird die Gewichtsabnahme dabei als positiv gesehen. 

„Männliche Anorexie“  geht oft einher mit einer Muskelsucht. Diese Symptomatik ist keine Essstörung im engeren Sinne, doch die Krankheitszeichen und ihre Entwicklung ähneln der Magersucht sehr. Sie betrifft vor allem Jungen und Männer, doch auch Mädchen und Frauen können betroffen sein.

Für den Magersucht-Typus zeigt sich meist eine rigide Einstellung bezüglich der Krankheitseinsicht, ein übertriebener Perfektionismus und ein niederes Selbstwertgefühl.

Da die Gefahren einer Magersucht von den Betroffenen selbst nicht wahrgenommen werden, verstehen sie oft nicht, dass ihr Verhalten krankhaft ist. Professionelle Hilfe wird oft viel zu spät aufgesucht.

Schnell kommt es zu Völlegefühl und Unwohlsein oder der Hunger wird unterdrückt. Die Wahrnehmung verändert sich zum Beispiel dahingehend, dass Stolz über die Leistung des  Nahrungsverzichtes alles überwiegt oder die Selbstwahrnehmung über das eigene Körperbild gestört ist. Auch große Sorgen oder Scham darüber, nicht in Ordnung zu sein, können sich ausweiten.

Eine große Unruhe kann sich einstellen und durch exzessive Aktivität noch befeuert werden. 

#02  Komplikationen in Folge 

Unterernährung hat Auswirkungen auf die inneren Organe, vorrangig auf Leber und Herz und auf den Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelemente-Haushalt, auf die Knochendichte, auf die Hormonlage und auch auf die Haut. Auch der Darm wird in Mitleidenschaft gezogen. Durch Immun-Defizite besteht eine Neigung zu Infektionen. Neurologische Fehlregulationen u.a. durch Vitaminmangel stellen sich ein.

#03  Frühzeitig be/handeln!

Wird die Entgleisung frühzeitig behandelt, sind die Aussichten auf eine vollständige Genesung besonders gut.

In der Behandlung geht es in erster Linie um Stabilisierung der Gewichtszunahme und des Essverhaltens. Je nach Ausprägung der Entgleisung ist eine ambulante, tagesklinische oder stationäre medizinische Behandlung zunächst erforderlich.

Auch Strategien, um einen Rückfall zu vermeiden werden besprochen und eingeübt. 

#04  Familie in Re-Aktion

Betreuende und nahestehende Menschen sollten nicht vom Behandlungsprozess ausgeschlossen werden.

Familienmitglieder sind oft verstrickt in der Gesamtsituation und umso mehr, je weniger eine Behandlungseinsicht von den Betroffenen angenommen wird. 

Kritische, feindliche und beschwichtigende, überfürsorgliche, kontrollierende Verhaltensweisen können sich bei einzelnen Familienmitgliedern zeigen. 

Dies kann zu großen Differenzen innerhalb der Familie führen. Zudem kommen noch die Reaktionen von Menschen außerhalb der Familie als Belastung in den  Familienraum hinein.

#05  Emotionen klären

Für alle Familien-Beteiligten ist es hilfreich, sich über auslösende und aufrechterhaltende „Anschub-Faktoren“ in der Kommunikation klar zu werden.

Ein besseres Verständnis über die Erkrankung und ihre Entstehung reduzieren den Permanent-Stress.

Auch die eigene Motivation, die Energie, die investiert wird und die Einsicht über eigene emotionale Reaktionen helfen, das Familiensystem zu klären und Ruhe, Mitgefühl und auch achtsamen Selbstschutz im Alltag zu erlernen und zu etablieren. 

#06  Bulimia nervosa (BN) bis #10

Die „Gesundheits-Entgleisung“ Bulimia ist ebenfalls eine ernstzunehmende Essstörung, bei der in Essattacken (mindestens 2 x pro Woche über mehrere Monate) eine große Menge an Nahrung durch einen Zwang zu essen konsumiert wird. 

„Sich zu fett zu fühlen“ sucht ein Gegensteuern: Sich wieder entlasten erfolgt durch Erbrechen, durch Abführmittel, durch Diäten und Hungerkuren und durch den Einsatz von Medikamenten oder exzessiven Sport. 

Bulimie tritt eher später auf als Magersucht, vorwiegend im späten Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter und betrifft meistens Frauen. Gerade Frauen die Leistungssport betreiben, wollen ihre Figur und ihr Gewicht mit aller Macht halten.

Auch im Bezug auf die eigenen Emotionen ist der „Kontrollverlust“ ein maßgebliches Kriterium. Der Umgang mit Ärger, Wut, Traurigkeit und Einsamkeit sucht über maßloses Essen zunächst ein „Regulatorium“. 

Auslösende Reize für unkontrolliertes Essen sind nahrungsbezogene Stimuli und spezielle Faktoren wie Stimmung, Zeit und Ort, die sich bei mangelnder Tagesstruktur verstärken können. 

Faktoren, die den Zeitpunkt des Ausbruchs einer Essstörung bestimmen, können belastende Ereignisse (auch aus der Vergangenheit) sein, die sich nun stressbelastend auswirken.

Auch hormonell-körperliche Veränderungen können maßloses Essverhalten auslösen.

#07  Komplikationen in Folge

Viele Betroffene haben über Monate hinweg keine Symptome, jedoch immer wieder Rückfälle in krankhaftes Essverhalten. Obwohl das Körpergewicht meist im variablen Normalbereich liegt, kann die Krankheit schwere gesundheitliche Folgen haben.

Zunächst kommt es zu Entzündungen und Verletzungen der Magenschleimhaut, häufiges  Erbrechen schädigt die Zähne.

Bauchspeicheldrüsenentzündung und Nierenfunktionsstörungen treten ebenso auf wie Darmprobleme. Der Säure-Basen-Haushalt verschiebt sich, die Anfälligkeit für Diabetes-Erkrankung erhöht sich.

Häufig stellen sich seelische Verstimmungen bis hin zu Depressionen ein. Wegen der Essanfälle und des Einkaufs großer Nahrungsmengen sind die Schamgefühle groß, Essanfälle sowie Diätverhalten werden geheim gehalten. 

Der Kontakt zu anderen Menschen wird abgebrochen. Medikamenten- und Alkohol/-konsum können sich erhöhen. 

#08  Begünstigende Faktoren 

Begünstigende Faktoren für das Entwickeln einer Bulimie sind Übergewicht der Eltern und eigenes Essverhalten von Kindheit an. Auch abwertende Bemerkungen der Familie über die Figur, das Gewicht und das Aussehen fördern eher das „Be/Kämpfen“ und nicht das „Lösen“.

#09  Behandlung

Je nach Ausprägung der Entgleisung ist eine ambulante, tagesklinische oder stationäre medizinische Behandlung zunächst erforderlich.

Themen der Therapie sind, außer dem Ziel wieder „normal“ zu essen, auch ursächliche Faktoren transparent zu machen, die zu der Krankheit geführt haben und die sie aufrechterhalten. Es werden zusammen mit den Betroffenen Strategien entwickelt, um einen Rückfall in die Erkrankung zu verhindern.

#10  Selbstwert und Stress

Stress, insbesondere interpersoneller Stress, triggert Essanfälle schneller.  Der Essanfall soll beruhigen und entspannen. Negative Emotionen, bedrohliche Gedanken und innerer Druck können dadurch ausgeblendet werden. 

Der Blick auf die Familien-Struktur kann kompliziert verstrickte Dynamiken transparent machen und innerpersonelle Konflikte aufzeigen.

#11  Binge-Eating-Störung (BES) bis #14

Binge-Eating kommt von englisch „binge“ – das „Fressgelage“. Diese Störung steht nicht nur für sich, sondern kann auch in Verbindung mit anderen Krankheitsbildern auftreten.

Charakteristische Begleiterscheinung für das  anfallartige Essen ist ein schnelles essen – unabhängig von einem Hungergefühl – und erst dann mit dem essen aufzuhören, wenn sich der Bauch unangenehm voll anfühlt. 

Die Betroffenen essen alleine, verheimlichen die Anfälle vor anderen Personen und fühlen sich nach dem Essen oft schuldig für die Attacke. Selten greifen sie zu gewichtsregulierenden Mitteln wie Sport, Erbrechen oder Hungern.

Meistens begeben sich PatientInnen in Beratung, mit dem Ziel Gewicht abzunehmen. Betroffene sind meistens junge Menschen. Sie sind unzufrieden mit ihrer Figur und haben meist ein niedriges Selbstwertgefühl.

#12  Ausgangsfaktoren

Die Mehrzahl der Betroffenen ist übergewichtig bis adipös, doch die Entgleisung kann auch bei Normalgewichtigen vorkommen. Nur weil ein Mensch jedoch ein hohes Körpergewicht hat, ist er noch nicht gleich von Binge-Eating betroffen. 

Auslösend für das attackenweise Verschlingen von großen Nahrungsmengen ist ein schlechtes psychisches und körperliches Wohlbefinden, mangelnde Unterstützung aus der Familie und Beziehungsstress.

Bei großen Sorgen, einem schwachen sozialen Niveau, psychiatrischen Erkrankungen, chronischen Schmerzen und Vorerkrankungen wie Fettsucht und Diabetes liegt die Entwicklung einer Binge-Eating Störung oft nahe.

#13  Veränderungen in Folge

Starke Schwankungen zwischen Phasen von Essanfällen und Phasen von Diäten sowie Phasen ohne Symptome sind möglich.

Bei starkem Übergewicht erhöht sich das Risiko für körperliche Erkrankungen.

Auch wird eine reduzierte Aktivität in Gehirn-Regionen die mit der Verhaltensregulation verbunden sind, meist nachgewiesen. 

Diese bestimmen über Neurotransmitter und Hormonausschüttungen zielgerichtes Verhalten, Motivation, zwanghafte Verhaltensweisen, Entscheidungsrelevanz, Geschmacksempfinden und Nahrungsregulation im allgemeinen.

#14  Kognitive Verhaltenstherapie und Einfluss auf neurologische Abläufe

Ein frühzeitiges Erkennen der Entgleisung und frühzeitige Behandlung unterstützen den Heilungsverlauf sehr.

In der Behandlung geht es darum, die Auslöser für die Essanfälle zu erkennen und ihr Auftreten zu vermeiden. Zudem soll ein gesundes und regelmäßiges Essverhalten aufgebaut werden. Gegebenenfalls ist eine Gewichtsabnahme, auch aus Betroffenensicht wünschenswert.

Kognitive und neurologische Abläufe sollten in der Therapie berücksichtigt werden.

#15  Misch-Erscheinungen bei Essstörungen
 
Wenn die Kriterien für die eine oder andere Form von Essstörungen nicht vollständig sichtbar sind und die Essstörung nicht eindeutig einer der drei vorgenannten Erkrankungen zuzuordnen ist, dann spricht man auch von „atypischen Essstörungen“, die somit „nicht näher zu bezeichnen sind“. 
 

#16  Bindung und Essstörungen

Meist sind gravierende Essstörungen die Folge von multiperspektivischen Ursachen.

Unsichere Bindungen und negative Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter stören die Selbstwahrnehmung und die emotionalen Regulationsfähigkeiten.

Auch ein übersteigerter Perfektionismus und eine allgemeine Körperunzufriedenheit erhöhen die Neigung zur Ablehnung des eigenen Körpers oder auch des eigenen „So-Seins“ oder sogar „Da-Seins“.

#17  Unsicherheit

Unsichere Menschen wollen negative Gefühle über sich selbst abwehren:

  • Durch Diäten wollen sie das perfekte Körperbild erreichen.
  • Durch Binge-Eating wollen sie die Stimmung verbessern und sich ablenken.
  • Durch Purging (Säubern) wollen sie negative Gefühle durchbrechen, die durch Gewichtszunahme ausgelöst wurden.

Alle Strategien haben „kurze Beine“ und bewirken nicht die langfristig erwünschte Balance. Auch lenken alle Investitionen in diese selbst auferlegten Handlungen letztendlich eher von der eigentlichen seelischen Not ab. 

#18  Selbstregulation der Emotionen

Es ist hilfreich, den negativen Emotionen auf die Spur zu kommen, interpersonelle Konflikte zu verstehen und ungesunden Stress abzubauen.

Verhaltenstherapie, Mentaltraining, sowie Wahrnehmungsübungen zur Achtsamkeit helfen, positiv notierte Rituale in den Alltag einzubauen um die Selbstregulation zu stärken. 

Es ist für Betroffene sehr wichtig, jemanden zu finden, der zuhört, die Situation versteht, Ursachen beleuchtet und auch Biografie und das Familienbild in den Blick nimmt.

#19  Kommunikation im familiären System

Im Bereich der Familie gilt es Eltern und enge Bezugspersonen zu unterstützen. Sehr hilfreich ist es, wenn Angehörige sich selbst auch durch die gegebenen Prozesse lernen, mehr selbst zu reflektieren.

In der Familien-Kommunikation/Familien-Konferenz sollten Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Warnungen oder Drohungen unterlassen werden und das Gewicht, die Figur oder das Essverhalten nicht im ständigen Mittelpunkt stehen.

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