Unser Lebensausdruck ist ein Spiegel unserer Beziehungen und unserer Beziehungsfähigkeit. Unsere Beziehungen bestimmen, begrenzen und öffnen unsere Realität. Durch Beziehungen können wir Leid erfahren und Glück. Wenn wir gelernt haben, prozessorientiert zu denken, können wir die Dynamik in Beziehungen als eigenen und gemeinsamen Entwicklungsweg betrachten und erleben.
Wie weitreichend diese Aussage ist, erleben wir, wenn wir bewusst erste Schritte in Richtung Heilung unserer Beziehungswunden gehen und dabei erfahren, wie sich die Sicht auf unser ganzes Leben dadurch verändert.
#01 Bindungs- und Entwicklungs-Erleben
Unsere biografische Geschichte kann unterschiedliche Prägungen in uns hinterlassen. Bezogen auf unsere Kindheit wurden wir – vereinfacht gesagt – im besten Fall in unserem Nähebedürfnis und in unserer autonomen Selbstwerdung und unserem Handlungspotenzial unterstützt.
Doch auch in noch so tollen oder perfekten Familien können sowohl Handlungen als auch Unterlassungen in einer bestimmten Lebensphase folgenreiche Spuren hinterlassen. Andauernde Einflussnahme von Erziehungspersonen auf Kinder und Jugendliche durch möglicherweise „gut gemeinte Konzepte“, können zu Verwirrungen und Zwiespalt für die heranreifende Ich-Persönlichkeit beitragen.
In der frühen Kindheit sind die Einflüsse von Eltern, Großeltern, älteren Geschwistern oder Pflegeeltern stark wirksam im kindlichen Ich, welches die Kraft der Unterscheidung in seinem Leben noch nicht entwickelt hat.
#02 Grenzen wahrnehmen
Selbst noch nicht so genau zu wissen, wer ich bin, ist oft nur latent als Unwohlsein oder „Andersseins“ zu spüren. Grenzen des „Ichs“ zum „Du“ hin zu spüren und ausdrücken zu dürfen, ist jedoch grundlegend wichtig, um sich selbst stabil in sich zu verankern und kraftvoll im Leben zu stehen.
Sich selbst zu spüren ist auch Voraussetzung, um sich mehr und mehr gemäß dem eigenen Potenzial entwickeln zu können.
Wer bin ich?
Wer ist der andere?
Wo ist meine Grenze?
#03 Tendenziell unsichere Bindungserfahrung
Wenn ein Kind unsichere oder ambivalent-unsichere Bindung erfährt, dann gibt es verschiedene Szenarien, die es durch Erziehungspersonen im Umfeld erfährt – unter anderem zum Beispiel
Zwiespältige Kommunikation – Jein!?
Willkür und Verwirrung
An Drohung und Gewalt gekoppelte Aufforderungen
Zugeschobene Verantwortungen und Schuldgefühle
Bloßstellen möglicherweise auch vor anderen Menschen
Entwerten
Neid auf das jüngere kraftvolle Leben des jungen Menschen
Dritte ansetzen, um sich selbst in das Beste Licht zu rücken
Drama erzeugen
Unkontrollierte Wut-Ausbrüche
Needling – Nadelstiche und Sarkasmus
Zuckerbrot/Schmeicheln und Peitsche/Bestrafen
Isolieren und Ignorieren
Depression und Versinken
Versteckte oder offene Sucht
#04 Experten und Expertinnen für Überleben
Wenn ein Kind über längere Zeit unstete Beziehungserfahrung macht, lernt es sich in seinem Überleben zu sichern und wird ein Experte, eine Expertin darin. Doch die geschlagenen oder lange subtil eingravierten Wunden suchen im späteren Leben nach Heilung.
#05 Wunden wollen geheilt werden
Was liegt näher, als den Wunsch nach Liebe, mal mehr nach Nähe und mal mehr nach Distanz in einer Partnerschaft oder generell in Beziehungen zu suchen. Wenn frühere Beziehungswunden unbewusst in uns wirksam sind, prallen jedoch meist zwei Felder in der Partnerschaft aufeinander: Beide, die ähnliche Wunden in sich verzeichnen oder beide, die gegensätzliche Dynamiken in sich tragen.
Egal in welcher gemeinsamen Konstellation – jeder hat den Wunsch, dass Wunden in der Partnerschaft gesehen werden und balsamisch behandelt werden mögen vom anderen.
Dies entpuppt sich nach den Flitterwochen oder oft nach der Geburt der Kinder meist als Illusion. Wir stellen fest: Mein Partner/meine Partnerin hat auch so seine „Specials“ und nutzt auch mehr oder weniger erfolgreich Strategien, um sich selbst zu regulieren.
#06 Hinschauen und Hinfühlen
Die gute Nachricht ist: Wir können in Selbstverantwortung kommen und uns die Beziehungsmuster, die in unserer Kindheit durch spezielle „Behandlung von Erwachsenen“ entstanden sind, anschauen und lernen, die Auswirkungen, die über das Nervensystem wirksam wurden und heute noch wirken, im Heute „Körper-zu-verstehen“.
#07 Emotionale Manipulation oft undercover
Physische Gewalt ist in der Regel faktisch offensichtlich und mit die Auswirkungen davon am Körper sichtbar. Emotionale Manipulation ist nicht immer so leicht erkennbar und braucht vor allem für Betroffene, die Adressaten von Manipulation sind, zunächst das Verstehen und Erkennen, was da gerade passiert.
#08 Du hast den Fokus von dir weg genommen zu anderen hin
Als heutige „Opfer-Anode“ von Manipulation hast du vermutlich als kleines Mädchen oder kleiner Junge gelernt, zugunsten des Bindungsumfeldes deine Fokus von dir selbst weg zu legen. Vereinfacht gesagt, suchtest du durch deine Anpassungsleistung die bedingungslose Liebe und Anerkennung von nahen Bezugspersonen zu bekommen.
#09 Du bist nicht dein T-Shirt!
Die Erwachsenen hätten dir sagen können:
Du bist nicht dein T-Shirt!
Du bist nicht der Sitz deiner Haare!
Du bist nicht deine Leistung!
Ich/wir freuen uns an dir, du bist ein Geschenk für mich/für uns, wir lieben dich so wie du bist.
Wenn dir die liebevolle Anprache und eine verbindliche Kommunikation fehlte, hast du dich möglicherweise ungeheuerlich angestrengt, um deine Eltern in die Verbindung zu holen oder sie darin zu halten.
Du kannst dich selbst fragen:
Was wurde im Außen von mir verlangt, damit ich im Gegenzug Nähe und Kontakt erhalten konnte?
Bekam ich die Verbindung, auch wenn ich meine Grenzen mitteilte, mich selbst erfahren oder in meine Kraft kommen wollte?
Wodurch habe ich mich selbst geopfert, um das Verbundensein zu meinen Eltern und der Welt zu retten, auf Kosten meiner Grenzen und meiner Eigenständigkeit?
Wie habe ich mich vielleicht früh autonom gemacht, mich vielleicht „imprägniert/mit Teflon beschichtet/Herzmauern errichtet“, um mich unabhängig zu machen, wodurch ich mich von meinem nicht beantworteten Nähe-/Geborgenheits-Bedürfnis abzulenken?
#10 Das „Ich“ und das „Du“ verschwimmt oder fühlt sich getrennt
Wie auch immer gelagert, gibt es auf der „Spielwiese der Erfahrungen“ Tendenzen. Wie genau du frühere Leiderfahrungen kompensiert hast, darf dir nach und nach bewusst werden.
Ein „Ich“ zum Beispiel, welches gerade in Konfliktsituationen verschwimmt, vor allem, wenn Grenzen nicht gespürt werden (wollen/können), braucht die Erfahrung dass es „nicht stirbt“, wenn es sich abgrenzt.
Ein Gespür für eigene Bedürfnisse zu bekommen, sie zu äußern und zuzulassen dass sie erfüllt werden, ist auch bei Autonomie Überbetonung unabdingbar um die eigene Haut zu „retten“ und aus destruktiver Beziehungsdynamik zu entkommen.
#11 „Gaslightnee“ mit spezieller Beziehungsdynamik
Am Beispiel von „Gaslightning“ wird eine destruktive Beziehungsdynamik möglicherweise verständlicher.
Einigen von uns ist im Zusammenhang mit toxischen Beziehungen der Begriff „Gaslighting“ schon einmal begegnet, doch nicht jeder weiß, welche Bedeutung sich dahinter verbirgt. Es handelt sich hierbei um eine neuere Bezeichnung für emotionale Manipulation.
Meist findet Gaslighting in engen Beziehungen und Partnerschaften statt, da sich dort die größte Angriffsfläche bietet, aber auch am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis sind Menschen davon betroffen.
Beteiligt sind daran zwei Personen; der/die GaslighterIn, welche/r versucht, das Gegenüber zu verunsichern und so zu kontrollieren, also emotional zu manipulieren.
Auf der anderen Seite befindet sich der/die sogenannte Gaslightee, welcher durch das Verhalten des anderen beginnt, an sich selbst und der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.
Der Gaslighter-Part hat deshalb einen so großen Einfluss auf sein Gegenüber, da es sich bei ihm meist um einen dem Gaslightee sehr nahestehenden Menschen handelt, welcher so üblicherweise viel Vertrauen in die Aussage des/der GaslighterIn setzt.
#12 Charakterisierung des Gaslighters
Ein Gaslighter erlangt sein Selbstbewusstsein durch die Schwäche seines Gegenübers und dem Gefühl, emotionale Macht gegenüber jenem zu besitzen. Häufig finden sich Menschen mit egozentrischen oder narzisstischen Zügen in der Rolle des Gaslighters wieder. Spricht man diese auf die emotionale Manipulation an, fällt die Reaktion meist ablehnend bis aggressiv und manchmal sogar gewalttätig aus.
#13 Besonders typische Sätze für den Gaslighter-Part sind…
„Du bildest dir das ein.“
„Wie kannst du das nur nicht wichtig finden, es ist doch d/ein Problem!“
Oder anders
„Immer nimmst du alles so persönlich“!
„Das habe ich nicht gesagt, du verdrehst die Sachen!“
Bei der emotionalen Manipulation begegnet der Gaslighter seinem Gegenüber permanent mit verallgemeinernden „Du-Botschaften“, welche Schuldgefühle wecken sollen und häufig aus dem Nichts zu kommen scheinen.
Lügen, Verdrehungen und Unterstellungen machen somit einen Großteil der ans Gegenüber gerichteten Kommunikation aus. Dem/Der Zugesprochenen wird durch diese invalide Form der Kommunikation das Gefühl, gegeben seine/ihre Wahrnehmungen und Gedanken seien falsch und unwichtig.
Wie mag es einem gut trainierten Gaslighter wohl in der Behandlung durch frühere Bezugspersonen ergangen sein, dass solche Mittel zur Beeinflussung und Kontrolle des Gegenüber fast zwanghaft eingesetzt werden?
#14 Reaktionen des Gaslightee
Diejenigen, die diese „Killerphrasen Plus“ zugesteckt bekommen, haben aufgrund ihrer Prägungen der Kindheit besonders häufig das Gefühl, sich für ihre Wahrnehmung und Gefühle rechtfertigen zu müssen. Sie wollen das Verbindende zum „Du“ in jedem Falle aufrecht erhalten und sind bereit, fast jeden Preis dafür zu geben.
Als Kind wurden sie tendenziell für Ihre Aussagen und in ihren Bedürfnissen nach Zuwendung und selbständigem Denken und Handeln nicht wichtig genommen, wurden „klein“ gehalten oder auch eingeschüchtert.
Oft waren sie in hohem Maß emphatisch einfühlend zum Umfeld hin und gaben viel Einsatz, um Beziehungsgefüge harmonisch zu halten.
#15 Wake Up! Das Spiel der Verwirrung aufdecken!
Je länger ein Verwirrungsspiel dauert, desto schwerer fällt es dem Gaslightee, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden und es stellt sich ein Zweifel an den eigenen Fähigkeiten oder sogar an der eigenen Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit ein.
Prinzipiell kann jede/r betroffen von Gaslighting werden. Da es manchmal nur in wenigen Punkten im Alltag vehement spürbar ist und in anderen Momenten nicht, braucht es eine gute Unterscheidungsfähigkeit in den einzelnen Situationen.
Bei weitreichender oder stark ersichtlicher Dynamik von Gaslightning steigert sich die Manipulation meist schleichend. Oft werden sich Betroffene erst spät über die Situation, in der sie sich befinden, in vollem Außmaß und den persönlichen Folgen bewusst. Bis dahin können sich Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, auch Angstzustände, Panik und Depressionen einstellen.
#16 Das Vertrauen in die eigene Kompetenzen wiedererlangen
Es mag zunächst sehr schwer fallen, sich von der verzerrten Wahrnehmung zu lösen und das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen wiederzuerlangen.
Es ist nun an der Zeit, wieder auf die eigene Körper/Wahrnehmung zu achten und den eigenen Gefühlen Raum zu geben. Auch wenn dir gerade zu deinen Körperwahrnehmungen Sätze entgegengebracht werden wie…
„Du bist einfach zu sensibel!“,
…solltest du dir selbst mit Verständnis begegnen, denn jede Emotion hat ihre Berechtigung und einen Ursprung, der mit deiner Anpassungsleistung in deiner Kindheit zu tun hatte.
#17 Gesunde Beziehungsdynamik
Auch in völlig normalen Beziehungen fallen hin und wieder Sätze wie; „Das hast du nie gesagt.“ Auch Verantwortung abzuwenden oder einen Ball sofort zurückzuspielen ohne Selbstreflexion kommt im Beziehungsalltag öfter vor. Das ist nicht gleich „Gaslighting“.
Auch Paare, die sich in einer im großen und ganzen gesunden Beziehung befinden, streiten sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungsfilter gelegentlich auf eine kontraproduktive Art und Weise, in der auch Anschuldigungen vorkommen. Der Fokus liegt dann mehr auf dem anderen als bei sich selbst.
Wenn dies in Stressituationen geschieht, kann nach Abklingen der Stressreaktion auf vorschnelle Handlungen oder unbedachte Wortwahl zurückgeschaut werden. Die Aussicht auf Bemühung, mit den Konflikten zukünftig selbstreflektierter umzugehen, ist für beide hilfreich.
#18 Gute Kommunikation und regelmäßiger Austausch
Jeder Mensch kann die innere Haltung entwickeln, in zwischenmenschlicher Kommunikation offen bleiben zu wollen und Ungereimtheiten zunächst zu sehen, als ein Spiegel von Unterschiedlichkeit der einzelnen Systeme, die zusammenkommen.
Undeutliche Kommunikation vor allem über eigene Bedürfnisse, Wünsche und Ängste trägt einen großen Part am Entstehen von vermehrten oder destruktiven Streitsituationen mit möglicherweise nachfolgenden Emotionen wie Hass und Verachtung.
Eine gesunde Beziehung ist geprägt von einem insgesamt offenem Austausch, bestehend aus Ich-Botschaften. So ist es möglich, sich mit etwas Verständnis anzunähern an die Sichtweise des anderen. Konstruktive Diskussionen der Partner brauchen manchmal sehr viel Mut und andererseits auch die Offenheit dafür, die Wahrnehmung des jeweils anderen hören zu wollen und ernst zu nehmen.
19# Gänzlich uneinsichtig?
Da Gaslighter selten einsichtig sind, ist eine Auflösung der Beziehung Seiten des Galightees möglicherweise die einzige Konsequenz, sich aus der Manipulation zu befreien und das alte Vertrauen in die eigenen Kompetenzen wiederzuerlangen.
Da dieser Schritt jedoch häufig nicht leicht fällt, ist es sinnvoll, sich bei guten FreundInnen Rat oder im beraterisch-therapeutischen Kontext Unterstützung zu holen.
Auch innerhalb der laufenden Beziehung gibt es Möglichkeiten, Situationen nicht durch Erdulden oder zu viele Zugeständnisse auszusitzen, sondern sich mit seinen Grenzen klar zu positionieren und zu handeln.
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