Die wichtigsten seelischen Grundbedürfnisse sind psychosoziale Bedürfnisse. Sie haben eine neurobiologische Grundlage und gehören unverzichtbar zum menschlichen Leben. Der Mensch hat ein Recht auf die Erfüllung seiner psychosozialen Grundbedürfnisse – anders gesagt – ein kranker Mensch ist ein in seinen psychosozialen Grundbedürfnissen verletzter Mensch.
#01 Verletzbarkeit und Bedürfnisbefriedigung
Doch der Mensch hat in einer Beziehung auch psychologische Menschenpflichten: Der achtsame Umgang mit „Verletzbarkeit“ und „gegenseitiger Bedürfnisbefriedigung“ in einer Beziehungsgestaltung ist Voraussetzung, um alte Grundmuster zu reflektieren, seine Bedürfnisse näher kennenzulernen und für sie einzustehen.
#02 Intrapsychisch verinnerlichter Konflikt
Der Ursprung von Beziehungsbefriedigung und Stressfaktoren liegt immer in einem früheren Beziehungskonflikt und ganz ursprünglich in einem Beziehungskonflikt mit der Bindungsperson. Die Kurzformel lautet: Der intrapsychische verinnerlichte Konflikt ist einerseits der Wunsch nach Befriedigung der psychosozialen Grundbedürfnisse und einer gleichzeitigen Angst vor der verletzenden und verunsicherten Reaktion der Bindungsperson.
Ein unbewusster intrapsychischer Konflikt kann dann später durch auslösende Situationen im Außen aktiviert und verstärkt werden und sich dadurch auf die gegenwärtige Beziehungsgestaltung auswirken.
#03 Einige wesentliche Grundkonflikte und ihre emotionalen Kerne
Emotional offen sein und teilen gegenüber
Näheangst oder der Angst Gefühle offen zu zeigen
Der Wunsch emotional offen sein zu dürfen bei körperlicher Nähe ist ein sehr früher Reifungsschritt in einem neurobiologischen Lebewesen. Wird dieses „Gehalten Sein“ im Raum nicht erfüllt, schwingt in uns ein heimliches Gefühl von:
„Ich darf die Welt nicht mit anderen teilen“, bis hin zu
„dem Gefühl, nicht existieren zu dürfen“.
Diffuse Erregung oder innere Leere, das Gefühl, sich selbst zu verlieren, können ein latentes Grundgefühl sein.
Bindungswunsch gegenüber
der Angst vor Bindungsenttäuschung
Niemandem trauen zu können, weil Beziehungen enttäuschend erlebt werden, erzeugt schmerzhafte, traurige, wütende oder ohnmächtige Gefühle. Die Angst vor Bindungsenttäuschung kann größer sein als der Bindungswunsch:
„Ich finde keine Sicherheit, die Bindung ist nicht verlässlich, ich werde doch wieder enttäuscht. Deswegen bitte ich niemanden um Hilfe und mach´ alles alleine.“
Autonomie erfahren, eigene Erfahrungen machen, gegenüber
der Angst, die Zustimmung zu verlieren
Durch Neugier und Interesse an der Welt bewegen wir uns zu einem Zeitpunkt von der Bindungsperson weg nach außen. Wir erfahren uns darin, durch eigenen Willen und eigenes Handeln wirksam zu sein.
Der Wunsch nach Autonomie lockt uns: „Die Welt ist ein spannender Ort, ich möchte sie entdecken“. Doch eine allgemeine Ängstlichkeit mahnt:
„Durch deine Selbstverantwortung und Selbstbehauptung könntest du die Zustimmung von anderen verlieren!“
„Wenn ich mich selbst sein möchte, muss ich den Preis des Selbstverlustes bezahlen“.
Der Wunsch nach Anerkennung gegenüber
der schamhaften Angst davor, Liebe annehmen zu dürfen
„Ich bin nicht liebenswert“,
„ich bin eine Blamage“,
„ich bin nicht gut genug und nur liebenswert, wenn ich mich für andere unentbehrlich mache und mich aufopfere“.
Erhalten wir durch unsere Bindungspersonen Unterstützung und Wertschätzung, dann kann sich in uns ein Gefühl der eigenen Kompetenz, Würde, und Selbstachtung entwickeln mit der Verinnerlichung:
„Ich bin gut genug, so wie ich bin“.
Zugehörigkeit und der Wunsch nach Identität gegenüber
nicht zu wissen, wohin ich gehöre
Ein grundlegender Schritt in der Entwicklung ist der Aufbau der Identität. Die Eindeutigkeit und Beständigkeit der eigenen Rolle und damit der Identität kann sich als kognitive, emotionale und soziale Reife entwickeln. Im Netzwerk der Generationen, der Geschlechter und der sozialen Zuordnung finden wir unseren Platz:
„Ich weiß, wer ich bin und wer die anderen sind“.
Verwirrungen, Verstrickungen und Ratlosigkeit in Beziehungen weisen darauf hin, dass der Wunsch nach Sicherheit, nach Unterstützung und den eigenen Platz zu finden, in den Fokus gerückt werden möchte.
Der Wunsch nach Sinn und Spiritualität im Leben gegenüber
der Angst vor Erneuerung, der Angst vor Neuorientierung
Jugendliche in ihrer psychologischen Reifung setzen sich mit den bestehenden Werten auseinander und streben eine eigene Wertewelt an:
„Wofür ist es wichtig, mich zu engagieren, meine mir gegebenen oder erlernten Fähigkeiten und Kräfte einzusetzen?“
Existenzielle Fragen zu den Themen Geburt, Leiden Sterben und Tod und das Leben nach dem Tod führen dazu, sich mit der inneren Wahrheit zutiefst zu befassen. Den eigenen Sinn und das eigentlich Wesentliche im Leben zu finden, ist maßgeblich wichtig, um immer wieder neu in den Tag oder eine weitere Phase im Leben zu gehen, obwohl existenzielle Angst und Verzweiflung auch diese Welt regieren.
Der Wunsch nach tiefer körperlicher Entspannung gegenüber
der Angst vor körperlichem Wohlbehagen und Integrität
Wohlbehagen und Lebenslust sind die Früchte eines guten verantwortlichen Umgangs mit allen genannte Grundkonflikten. Wenn das Erleben von Lust und Wohlbehagen durch ständige Ängstlichkeit misstrauisch in Frage gestellt wird, dann können wir uns fragen:
„Erlaube ich es mir, dass es mir gut geht?“.
“ Darf es mir gut gehen, wenn es einem anderen schlecht geht?“
„Geht meine Angst womöglich dahin, dass etwas passieren könnte, wenn ich mich entspannt zurücklehne und genieße“?
Fähigkeiten zu pflegen, die die eigenen Grundbedürfnisse im Laufe des Lebens stillen und nähren können, trägt maßgeblich dazu bei, dass wir uns wohl fühlen und Freude am Leben haben.
Die Auseinandersetzung mit den psychosozialen Grundbedürfnissen und den daraus resultierenden Konflikten tritt vor allem in Schwellensituationen wie Verlassen des Elternhauses, Berufsanfang, Heirat und/oder Familiengründung in den Fokus. Wir können dann in einer intrapsychischen Überprüfung eine Art „Bestandsaufnahme“ machen.
#04 Wurzeln, die mich nicht fesseln, geben mir Halt
Der Konflikt zwischen Bindung und/oder Abhängigkeit auf der einen Seite und Freiheit und/oder Autonomie auf der anderen Seite benötigt immer wieder eine innere Balance, um beziehungsfähig zu werden oder zu sein. Im günstigsten Fall geben Erziehungs-/Bindungspersonen in der Kindheit verbindliche Sicherheit und Halt und lassen dennoch genügend Freiraum für Entfaltung.
„Wurzeln die mich nicht fesseln, geben mir Halt“.
Im ungünstigeren Fall fehlt dem Kind verbindliche Sicherheit, es fühlt sich nicht genügend geliebt und gehalten. Oder die Eltern oder ein Elternteil binden das Kind zu stark an sich, sodass es sich nicht ohne schlechtes Gewissen erlaubt, die Welt zu erkunden und selbstständig zu werden.
Außer dem abhängig gebundenen und unsicher gebundenen Bindungstypus in jeweils unterschiedlichen Nuancen, gibt es auch die in der Trauer gebundene Bindungsstörung. Sie kann durch den Tod eines nahen Familienmitgliedes des Kindes oder Jugendlichen in seiner Kindheit entstehen. Durch den Verlust durch den Tod entstehen eigene Dynamiken.
Auch können chaotisch-desorganisierte Bindungsmuster von bereits traumatisierten Eltern oder einem Elternteil an die Kinder weitergegeben werden und massiv störend auf das Bindungssystem des Kindes wirken zum Beispiel durch einen nicht nachvollziehbaren Wechsel zwischen scheinbarer Nähe, Abweisung oder Ignorieren.
#05 Nur unter Bedingungen
Sich den Erwartungen der Eltern in Bezug auf ihre Nähe- und Distanzwünsche und anderen Befindlichkeiten dauerhaft anzupassen entsteht zunächst aus scheinbar unverhandelbaren Bedingungen. Kinder sind dann, als kleines Glied in der Kette, genötigt, die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen, damit Mama und Papa besänftigt sind und nicht von mir als Kind enttäuscht werden.
#06 Funktionalität
Immer funktionieren zu müssen, hinterlässt Spuren, so dass die unsichere Bindungsqualität auch in späteren Partnerschaften als „verlässliches Muster“ abgerufen wird.
So wie sich der Mensch innerlich fühlt, so verhält er sich auch in Erwartung in seiner Partnerschaft.
Unbewusste Muster können sein:
Alleine die Verantwortung tragen zu müssen für das Gelingen der Beziehung.
Nicht für sich selbst einstehen können
Gefangen zu sein zwischen Unterwerfung oder Rebellion, Macht oder Ohnmacht, Überlegenheit oder Unterlegenheit.
#07 Zu wenig Nähe, Zuwendung und Bindung
Bindungsängstliche, die zu wenig Bindung und Unterstützung erfahren haben, tragen immer die Angst in sich, abgelehnt zu werden oder möglicherweise den Partner/die Partnerin zu verlieren. Deswegen lassen sie sich nie gänzlich ein.
Aufgrund ihrer Erfahrungen haben sie die Befürchtung abgewiesen zu werden. Weil die Liebe und die verbindliche Sicherheit nicht bedingungslos war, fühlten sich diese Kinder, wenn überhaupt, nur partiell, und eben nicht bedingungslos in ihrer Ganzheit – so wie sie sind – geliebt.
Die Verstörung liegt in der Angst, den Partner/die Partnerin zu verlieren als auch in der Angst, sich selbst zu verlieren. Verlustangst und/oder auch die Angst, von Erwartungen eingenommen zu werden, kommen möglicherweise beide zusammen.
#08 Kontrolle, Bevormundung, Erdrückung
Wenn ein oder beide Elternteile zu viel Kontrolle ausüben oder mit ihrer Liebe ein Kind erdrücken, dann sind Verlustängste eher nicht gegeben, sondern mehr das Gefühl, kein eigenes Individuum sein zu dürfen. Das Gefühl überschwemmt zu werden, sich wie in einem Gefängnis oder in Ketten gelegt zu fühlen oder sich aufzulösen, ist vorrangig.
#09 Zu nah oder zu weit weg
In beiden Fällen, scheint der Ausweg zu sein, sich durch Freiheit und Autonomie loszulösen. Innere Unabhängigkeit, „entspannt sein“ wäre das Ziel. Doch solange die Autonomiebestrebungen, „aus zwanghaften Grundmustern“, als Abwehrreaktion sozusagen gegen Enttäuschung und Verlust oder gegen Vereinnahmung angeschoben werden, sind sie nicht bewusst und somit auch nicht gelöst.
#10 Flüchten oder Kämpfen oder Einfrieren
Wie in archaischen Vorzeiten beantworten wir Stress-Situation auf der neurobiologischen Ebene nicht über bewusstes und vernünftiges Handeln, sondern über ältere Gehirnanteile.
#11 Flüchten als Selbstschutz
Mehrerer Möglichkeiten bedienen sich unsere menschlichen Systeme, um „abzuhauen“, um der Beziehungs-Realität zu entkommen, um nicht genau „fühlen zu müssen“:
Stürzen in Arbeit, Hobbys oder Sucht
Sich dem Alltag entziehen, unverbindlich bleiben, sich im Gespräch entziehen, stumm bleiben.
Übertriebene Sachlichkeit oder Rationalisierung
#12 Angriff als Selbstschutz
Möglichkeiten des Kämpfens sind:
Offene Aggression: „Angriff ist die beste Verteidigung“ – den Gegner entwaffnen oder verunsichern durch Überlegenheit oder feindschaftliches Gebahren wie zum Beispiel Drohen und Schuldzuweisungen zu geben.
Passive Aggression wie kleine Sabotageakte, Zynismus, „mauern“.
Harmonie ist zu schön, fließend und nicht kontrollierbar? Daher wird sie gestört/zerstört, immer wenn es grade mal ruhig/friedlich ist.
#12 Totstellen
„Mein Name ist Hase!“ ist eine weitere Option, um sich vor Verlustangst oder Nähe-Überflutung/Ertrinkung zu schützen. Es entspricht einem „inneren Weggehen“, einem Verschwinden in einem inneren Bermuda-Dreieck. Diesem Gefühlszustand geht meist eine auslösende Trigger-Situation voran, die oft nicht wahrgenommen wird.
# 13 Hinter dem Muster
Hinter all den verinnerlichten „Überlebens-Strategien“ steht zum einen eine persönliche Biografie und zum anderen eine jeweils individuelle „gute Absicht“ dahingehend, mit dem Leben und beziehungsauslösendem Stress gut zurecht zu kommen.
Hinter einer scheinbar komplexen, sich wiederholenden Struktur ist ein systematischer Ablauf zu erkennen, der transparent werden darf, um Auslöser und Wirkungskaskade zu verstehen und nach und nach, dem inneren Boykotteur auf die Schliche zu kommen.
Zur Vertiefung der Thematik empfehle ich dir die Teilnahme an meinen Seminaren.
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